Interview mit David Zindellts

Im Rahmen des Projekts gab es ein Interview mit dem Autor, das Sie hier nachlesen können.
 
SG:
Zuerst einmal möchte ich mich für deine Unterstützung bedanken, für die Überlassung der Übersetzungsrechte am Buch und für deine Beiträge zum Bonus-Material wie Seiten aus deinem eigenen Skriptbook, die Synopsis oder die Erlaubnis, die Kurzgeschichte »Martian Compassion« ins Deutsche zu übersetzen. Ganz unabhängig davon, wie das Crowdfunding-Projekt ausgeht, wäre es ohne diese Hilfe gar nicht erst möglich geworden.
Was ich gern wüsste: wie fühlt es sich an, nach so vielen Jahren wieder mit dem Valashu-Epos zu tun zu haben? Es muss mehr als zehn Jahre her sein, seit du mit dem ersten Roman angefangen hast, und sechs Jahre, seit der letzte Roman in England veröffentlicht wurde.
 
DAVID ZINDELL:
Auf eine Weise ist es sicherlich lange her, seit ich an EA gearbeitet habe und der letzte Band veröffentlicht wurde; in anderer Hinsicht sind mir die Erfahrungen und Erinnerungen an das Schreiben dieser Bücher immer noch so nah wie der Moment, als ich das erste Mal den Grand Canyon gesehen oder mich verliebt habe. Schreiben und Lesen heben auf eine ganz eigene Weise die Zeit auf. Außerdem kommen die Figuren von irgendwo tief in meinem Innern – besonders Keyn -, und daher bleibe ich ihnen und der Geschichte, die aus ihnen erwachsen ist, eng verbunden. Da zudem die Gründe, aus denen ich schreibe, auf die Gründe zurückgehen, aus denen ich lebe, ist es für mich vielleicht gerade deshalb besonders gut, mein Werk noch einmal zu überprüfen, denn so erinnere ich mich daran, warum ich getan habe, was ich getan habe, und wieso ich tue, was ich tue.
 
SG:
Diejenigen, die das Valashu-Epos lieben, betonen, wie gut es geschrieben ist, sie verweisen auf die starke innere Spannung und – neben vielen anderen Dingen – auf die sehr authentische erzählerische Stimme. Über diese Stimme würde ich gern etwas mehr wissen. Was war der Ausgangspunkt, das Valashu-Epos zu schreiben? Wie hat alles angefangen? Woher kam die Idee?
 
DAVID ZINDELL:
Ich glaube nicht, dass viele Romane einem einzigen Keim entspringen, aber wenn doch, durchdringen sie den Boden mit vielen Wurzeln. Ich würde sagen, dass die Wurzeln von EA weit in mein Leben und das, was ich früher gelesen habe, zurückreichen; zusätzliche Nahrung haben sie durch einige Bücher gefunden, die mir zu irgendeinem Zeitpunkt aus irgendeinem Grund eine Menge bedeutet haben. Von »The Ultimate Frontier«, der angeblich wahren und geheimen Geschichte über die Bruderschaften und die Rolle, die sie bei der Entwicklung des Universums gespielt haben, kam die allumfassende Idee, dass die Menschheit sich durch Voranschreiten sukzessive zu immer höheren Daseinsstufen weiterentwickelt. Damit hatte ich eine Struktur, mit der ich die Evolution in einem nicht wissenschaftlichen Fantasy-Kontext präsentieren konnte. Die verschiedenen Gralsgeschichten lassen sich in der einen oder anderen Form in einem großen Teil der westlichen Literatur finden und bieten eine fast perfekte Möglichkeit, um das Phantastische mit dem Spirituellen zu verbinden. Aus »Childhood’s End« (»Die letzte Generation«) kam die zündende Idee der zentralen Bedeutung des Mitgefühls. Ich denke hier an die Szene beim Stierkampf, in der die aficionados dazu gebracht werden, die Qualen des Bullen in dem Moment zu spüren, da ihn der tödliche Schwertstoß trifft. Diese Erfahrung bedeutete das sofortige Aus für die Stierkämpfe, nicht weil die Leute ein intellektuelles Verständnis für ein bestimmtes Gesetz erlangt hatten, dem sie zu gehorchen hatten, sondern weil sie durch einen körperlichen Schock auf eine höhere moralische Ebene gelangt waren. In meiner Geschichte »Martian Compassion« habe ich mit einer ähnlichen Idee gespielt, die ich in EA noch weiter ausgearbeitet und persönlicher gestaltet habe. Michael Moorcocks »Elric«-Bücher haben mir gezeigt, dass eine große Gabe auch ein großer Fluch sein kann. Elric bezieht große Stärke und Gesundheit aus seinem verdammten Schwert Sturmbringer, aber dies geschieht nur deshalb, weil Sturmbringer das Leben und die Seelen derjenigen trinkt, denen Elric begegnet. In EA wollte ich zeigen, dass Mitgefühl ein sehr zweischneidiges Schwert sein kann. Vals größter Kampf wird der gegen sich selbst sein. All das prägt die narrative Stimme Eas sehr. Es ging mir darum, eine sehr persönliche Geschichte zu erzählen, die den großen Kampf widerspiegelt, der gegenwärtig um das Schicksal der Erde stattfindet. Wir kämpfen tatsächlich gegen die Kräfte des Bösen um unser Überleben und unsere Weiterentwicklung – und das Gesicht des Bösen ist letztlich unser eigenes.
 
SG:
Vielleicht ist es deshalb so schwierig, das Böse zu bekämpfen: weil es schrecklich ist, einen Blick in das eigene Gesicht zu werfen und so viel leichter, anderen die Schuld zu geben. Dabei würde man, wenn man in das eigene Gesicht sähe, auch sehen können, was dahinter liegt – eine Sehnsucht nach Leben und danach, uns selbst als göttliche Wesen wahrnehmen zu können, die alle den gleichen göttlichen Funken besitzen, der uns miteinander verbindet. Erschaffen wir das Böse in gewisser Weise dadurch, dass wir einander nicht vergeben können? Dass es uns nicht gelingt, diesen tieferen Grund zu erkennen und zu sehen, dass der andere eigentlich nach einem Weg sucht, sich als »gut« und »göttlich« wahrnehmen zu können? Als unschuldig in einem höheren Sinn? Ich meine dies bei Keyn zu sehen (der sich dieser Sehnsucht noch nicht ganz verschlossen hat) und bei Morjin (der sich sehr wohl verschlossen hat). Morjin kommt mir vor wie jemand, der die Grenze übertreten hat und weiß, dass er niemals mehr zur Menschlichkeit zurückfinden und sich als göttlich empfinden wird, und deshalb tötet und zerstört und quält er um so mehr.
 
DAVID ZINDELL:
Ich habe das Gefühl, dass der größte Teil dessen, was wir als das menschliche Böse bezeichnen, hauptsächlich aus drei Quellen kommt: einer natürlichen Selbstbezogenheit, einem Mangel an Mitgefühl und der Unfähigkeit, absolutistische Prinzipien zu hinterfragen.
Es entspricht der Natur des Menschen (oder überhaupt aller Wesen), nach dem eigenen Wohl auf Kosten anderer zu streben. Auf einer sehr tiefen Ebene müssen wir Tiere oder Pflanzen töten, um leben zu können. Menschen haben diese natürliche – und ziemlich erschreckende – Lebensnotwendigkeit häufig übertrieben und die Raubtier-Beute-Beziehung auf die eigene Spezies angewendet: man denke nur an die Versklavung der Afrikaner durch die Europäer oder den unverhohlenen Kannibalismus, der von den Maori bei ihren Verwandten, den Moriori, im Südpazifik praktiziert wurde.
Es ist richtig, wenn wir dies als Übel oder das Böse bezeichnen. Wir sind in der Lage, diese schrecklichen Dinge zu tun, indem wir die uralte Methode anwenden, unsere Opfer zu entmenschlichen und uns selbst gegenüber dem Leid verhärten, das wir anderen zufügen.
Von Menschen erschaffene Normen, wie der schematische Aufbau eines Feindbildes, demzufolge diejenigen, die uns fremd sind und nicht zu unserem Stamm gehören, vernichtet werden müssen, haben immer und immer wieder zu Massakern geführt, von Dschinghis Khans Vernichtung der Choresmier bis Treblinka. Und ja, diese Art Böses ist schwer zu bekämpfen, nicht so sehr, weil solche destruktiven Kräfte wie die Mongolen oder die Nazis unmöglich zu vernichten wären, sondern weil wir selbst – wir alle – Teil dieses großen destruktiven Molochs sind, der sich als menschliche Rasse bezeichnet.
Wer von uns, der oder die reich wird, möchte daran denken, dass jemand anderes gelitten und geschwitzt hat, um diesen Reichtum möglich zu machen? Wer fühlt sich wirklich schlecht, wenn er die Mittel hat, eine Putzfrau zu engagieren, die die Toilette reinigt? Oder, bezogen auf Amerika: wer ist bereit, das Gefängnis in Kauf zu nehmen, und weigert sich, Steuern zu zahlen, mit denen die Herstellung von Nuklearwaffen finanziert wird, die immer noch das größte Übel auf die Menschheit loszulassen drohen, das die Welt je gesehen hat? Also ja, das Antlitz des Bösen ist sicherlich unser eigenes. Ich würde nicht sagen, dass wir das Böse erschaffen, weil wir einander nicht vergeben können, aber wir vermehren es, indem wir die Ursache bei anderen suchen. Und wir machen uns auch blind gegenüber den Möglichkeiten, über das Böse hinauszugehen, denn wir können uns nicht als das sehen, was wir wirklich sind, wir können unsere immense Fähigkeit zum Guten nicht erkennen. Und dabei sehnen wir alle uns insgeheim danach, uns auf diese Weise wahrnehmen zu können, denn wir besitzen alle, wie du sagst, den gleichen göttlichen Funken. Auf Ea wird Keyn von den Erinnerungen an diese Göttlichkeit – und die Hinweise auf sie – auf tiefster Ebene heimgesucht, während sie Morjin nur wütend machen. Wenn ich Morjin verstehe – und ich denke, ich tue das so wie alle anderen – ist er so vollständig gefallen, weil er sich selbst zu seinem eigenen Gott gemacht hat, nachdem er vom Göttlichen abgeschnitten wurde. Aufgrund dieser Entfremdung tötet und foltert er, einerseits als eine Art Rache am menschlichen Teil der Schöpfung, und außerdem, weil es etwas ist, das er extrem gut kann. Er macht das Töten und die Zerstörung zu einer Art Kunst, und führt so das Böse zu seinem logischen Ende.